Die Auswirkungen der Coronakrise auf unsere Arbeitswelt und die damit verbundenen wirtschaftlichen und finanziellen Folgen sind derzeit überall spürbar. Nachdem sich Bund und Länder Anfang Mai auf Lockerungen der Corona-Beschränkungen verständigt haben, bereiten sich nun auch immer mehr Unternehmen auf ein Ende des Shutdowns vor. Dabei gibt es viele Herausforderungen: Zum einen hat das Virus die Arbeitswelt verändert, zum anderen müssen bei der Rückkehr ins Büro auch Hygienekonzepte und Abstandsregeln umgesetzt werden. Worauf sollten sich Unternehmen vorbereiten und welche Trends werden die nächsten Wochen und Monate bestimmen?
1. Heimarbeit oder Büro? Mehr Flexibilität gewähren
Was früher als Luxus galt und von manch einem Chef eher skeptisch betrachtet wurde, hat sich in der Krise als entscheidendes Kriterium für das Überleben vieler Unternehmen herausgestellt. So ist die Anzahl der Menschen, die ihre Arbeit von zu Hause aus erledigen, seit Corona deutlich gestiegen. Laut einer Studie des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation befinden sich jetzt 43 Prozent der Deutschen zumindest teilweise im Homeoffice; vor der Krise galt das lediglich für rund ein Drittel der Befragten. 39 Prozent gaben an, dass ihr Arbeitgeber die Heimarbeit zuvor nicht bewilligt hatte. Das wird sich in Zukunft wohl ändern. Denn die Zufriedenheit mit der neu gewonnenen Situation ist hoch: Rund zwei Drittel der Angestellten, die von zu Hause arbeiten können, „wünschen sich nach der Coronakrise mehr Homeoffice als zuvor“.
Auch die Politik erkennt die Vorteile flexibler Arbeitsweisen: So will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bis zum Herbst ein Gesetz vorlegen, welches jedem Arbeitnehmer ein Recht auf Homeoffice zuspricht. Und der Kurznachrichtendienst Twitter gab kürzlich bekannt, dass seine Mitarbeitenden auch nach der Coronakrise weiter uneingeschränkt im Homeoffice bleiben können.
Für viele ist die Heimarbeit sicher keine ausschließliche Dauerlösung, da persönlicher Austausch und der Kontakt zu Kollegen fehlen. In Zukunft wird es daher umso wichtiger werden, die Menschen entscheiden zu lassen, welche Aufgaben sie im Büro erledigen und wann sie ins Homeoffice gehen wollen.
2. Digitale Sicherheit hat Priorität
Der Wechsel ins Homeoffice stellte viele Firmen in der Coronakrise vor technische Herausforderungen. Fragen rund um die IT-Sicherheit mussten geklärt und gelöst werden: Es wurde deutlich, wie wichtig gute Digitalkenntnisse sind, und wie viele Defizite es hier auszugleichen gilt. Laut der ESET-Studie „Veränderung der Arbeitswelt durch Corona“ ist jeder siebte, der von zu Hause aus arbeitet, darauf angewiesen, eigene Geräte zu nutzen. Ein Viertel der Homeoffice-Mitarbeiter hat keinen IT-Leitfaden erhalten, was im Heimbüro zu beachten ist. Eine prekäre Lage, in der Heimarbeitsplätze schnell zu einem Sicherheitsleck und zu einer Gefahr fürs Unternehmen werden können.
Oft fehlt im Homeoffice eine Firewall oder ein Virenschutz. IT-Sicherheits-Experten warnen vor einer Cyberkriminalitäts-Welle. Als Reaktion auf die Gefahr wurde die “Cyber Threat Coalition” Plattform gegründet. Dort haben sich Mitarbeiter der Antivirus-Firmen, IT-Sicherheitsunternehmen und sogar Beamte staatlicher Behörden zusammengeschlossen, um zu den Fragen Sicherheit im Netz in Zeiten Covid-19 auszutauschen.
Da in Zukunft mit mehr Homeoffice zu rechnen ist, wird das Thema digitale Sicherheit, vor allem hinsichtlich des Umgangs mit beruflichen Daten im privaten Umfeld, weiter an Bedeutung zunehmen. Unternehmens-Firewalls und professionelle Antivirus-Programme sind im Homeoffice oft nicht vorhanden. Für VPN-Netzwerke der Firmen kann ungeschützte Technik zu einem Schlupfloch für Hackerangriffe werden.
3. Vertrauen ist besser als Kontrolle
Die Krise zeigt: Unternehmen, die auf agile Arbeitsstrukturen setzen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Vertrauen entgegenbringen und in eigenverantwortliches Handeln investieren, sind klar im Vorteil. Es lohne sich, vor allem jetzt in die Unternehmenskultur zu investieren, sagt auch Zukunftsforscher Andreas Steinle im Interview mit pressrelations.
„Je mehr Krisen, Unsicherheit und Veränderungen es gibt, umso wichtiger ist der soziale Kitt, der ein Unternehmen zusammenhält. Auch dann, wenn man mal nicht zusammen sein kann wie jetzt gerade.“
Teams, die vorher schon nicht funktioniert hätten, würden in digitaler Zusammenarbeit erst recht nicht funktionieren, so der Zukunftsforscher.
Die Corona-Pandemie wird Unternehmenskulturen und Arbeitsatmosphären nachhaltig verändern. Unternehmen sollte bewusst sein: Um sich für die Zukunft fit zu machen, braucht es auch eine starke interne Basis, Vertrauen und einen respektvollen Umgang miteinander.
4. Nachfrage nach digitalen Tools wächst
Mit dem Ausbruch des Coronavirus mussten Veränderungen vieler Arbeitsprozesse sehr schnell geschehen. Viele Unternehmen mussten von heute auf morgen reagieren und digitale Strukturen schaffen, um unter den Bedingungen des Shutdowns weiterarbeiten zu können.
“Wir haben ein Ausmaß digitaler Transformation von zwei Jahren in zwei Monaten erlebt”, sagt Microsoft-Chef Satya Nadella.
Die Microsoft-Kooperations-Software „Teams“ hat nun 75 Millionen Nutzer täglich, das sind doppelt so viele wie noch Anfang März. Im gesamten Monat März sind die via „Teams“ getätigten Videoanrufe um 1.000 Prozent gestiegen. Microsoft ist nicht das einzige Untzernehmen, das solche Erfolge feiert: Digitale Tools wie Konferenz- und Videosoftware oder Mitarbeiter-Apps für eine verbesserte Interne Kommunikation sind in der Krise gefragter denn je und werden auch in Zukunft an Bedeutung gewinnen.
Durch Mitarbeiter-Apps können Info-Seiten, Feedback-Kanäle und Chats eingerichtet werden. Notfallinformationen oder veränderte Regelungen können auf diesem Weg von Arbeitgebern schneller verbreitet werden. So nutzt zum Beispiel die Berliner Stadtreinigung die Mitarbeiter-App „myBSR“. Tausende Mitarbeiter in der Hauptstadt bleiben durch die App miteinander verbunden. Genauso wie bei Verkehrsbetrieben Hamburg-Holstein (VHH), bei dem 90 Prozent der Mitarbeiter draußen arbeiten und über die Mitarbeiter-App „Aktuell+“ im Kontakt bleiben.
Webinare, Online-Konferenzen, Online-Ausstellungen und -Aufführungen, medizinische Online-Sprechstunden, Online-Shops der Lokalhändler sowie andere nachhaltige Lösungen bleiben auch für die Zeit nach der Corona-Krise aktuell.
5. Dienstreisen werden weniger
Die Arbeit auf Distanz wird in der Zukunft dazu führen, dass immer weniger Menschen geschäftlich reisen werden. So könnte die Pandemie auch die Nachfrage nach Flügen nachhaltig beeinflussen. Laut einer Umfrage des Verbandes Deutsches Reisemanagement (VDR) ist für fast 93 Prozent der befragten Unternehmen eine Wiederaufnahme der Reisetätigkeit derzeit nicht absehbar. Mit der Lockerung der Pandemie-Maßnahmen könnte sich die Situation zwar wieder ändern. Dennoch gehen 63 Prozent der Unternehmen davon aus, dass die Notwendigkeit von Firmenreisen künftig grundsätzlich sorgfältiger überprüft werden wird.
6. Neue Geschäftsmodelle entstehen
Wie viele Unternehmen trotz staatlicher Zuwendungen und Kurzarbeit Insolvenz anmelden müssen, ist noch nicht absehbar. Manch ein Unternehmen oder Selbständiger hat bereits innovative und kreative Lösungen gefunden, um sich in der Krise neu auszurichten.
Eine lokale und regionale Ausrichtung der Betriebe wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Aktuelle Engpässe haben gezeigt, dass eine zu starke Abhängigkeit vom Weltmarkt zu Versorgungsdefiziten führen kann. Es müssen Anreize geschaffen werden, die Produktion grundlegender Güter wieder lokal anzusiedeln und wieder mehr wirtschaftliche Unabhängigkeit zu gewährleisten. Auch im Alltag ist die Wertschätzung regionaler Produktion in der Corona-Krise gestiegen. Zahlreiche Initiativen machen vor allem in den sozialen Netzwerken unter #supportlocalbusinesses auf kleine Geschäfte aufmerksam. Sowohl regionale Lebensmittel als auch Mund-Nase-Masken sowie andere wichtige und grundlegende Produkte werden nun vor Ort produziert, um die Abhängigkeit vom internationalen Markt zu verringern.
7. Hygienekonzepte und Abstandsregeln
Auch bei einer Rückkehr ins Büro wird der Arbeitsalltag nicht mehr derselbe sein: Hygieneregeln und weitere Vorsichtsmaßnahmen werden uns noch lange begleiten. Es wird nötig sein, an vielen Arbeitsplätzen bauliche Veränderungen vorzunehmen und Arbeitsabläufe neu zu strukturieren. Beschäftigte werden sich daran gewöhnen müssen, auch in Zukunft auf das Händeschütteln zu verzichten, Kollegen hinter Plexiglasscheiben zu begrüßen oder sich an Bodenmarkierungen zu orientieren. Diese Maßnahmen könnten einige Prozesse erschweren oder verlangsamen, sind aber notwendig, um das Infektionsrisiko weiterhin möglichst gering zu halten.
8. Mehr Wertschätzung für systemrelevante Berufe
Die Coronakrise hat sichtbar gemacht, welche Berufe von so großer gesellschaftlicher Bedeutung sind, dass wir sie nicht entbehren können. Die Wertschätzung und Anerkennung insbesondere für Arzthelfer, Pfleger und Verkäufer ist in den letzten Wochen stark gestiegen. In Zukunft wird der Blick auf diese Berufsgruppen ein anderer sein.
Fikret Öz vom Institut Arbeit und Technik (IAT/ Westfälische Hochschule) hat auf Basis der WSI-LohnSpiegel-Datenbank untersucht, wie die Löhne und Gehälter in ausgewählten systemrelevanten Berufen sich von allen übrigen Berufsgruppen unterscheiden. Bei 3.291 Euro im Monat liegt der mittlere Verdienst für alle Beschäftigen. Der Verdienst in systemrelevanten Berufen ist im Schnitt 30 Prozent niedriger, nur 2.304 Euro. Vor allem sind HelferInnen im Verkauf und BäckereifachverkäuferInnen betroffen, die durchschnittlich 45 Prozent weniger verdienen.
Deutsche Gewerkschaften fordern Tarifverträge, die für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einer Branche gelten würden. Manche erhalten in Corona-Zeit einen finanziellen Bonus, der bis 1500 Euro steuerfrei bleibt, aber keine wirklich langfristige Lösung bietet. Ob es bei diesen Auszahlungen und bloßen Danksagungen bleibt, oder die Krise zu fairen Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen führt, das wird sich zeigen.
9. Krank? Bitte zu Hause bleiben
Die Corona-Pandemie hat auch unseren Umgang mit Erkältungen und Grippewellen beeinflusst. Noch vor kurzem wären zwei Drittel aller Arbeitnehmer trotz Krankheit am Arbeitsplatz erschienen, berichtet der Deutsche Gewerkschaftsbund. Viele verstehen nun, dass man damit nicht nur das Team, sondern sich selbst und sogar das Unternehmen gefährdet. Diese Erkenntnis wird wohl auch nach Corona bleiben.
Fazit: Wie können sich Unternehmen auf die Zeit nach Corona vorbereiten?
Ansätze zu sinnvollen Veränderungen bieten sich vor allem im Bereich Digitalität, IT-Sicherheit und Unternehmenskultur. Bereits jetzt zeichnen sich komplett veränderte Arbeitswelten ab, mit Tendenz zu mehr Flexibilität. Längst überholte Prinzipien können nun durch effizientere Modelle ersetzt werden, während der Zwang zur Neuorientierung vielen Unternehmen und Branchen ungeahnte Chancen verschafft.
Krisen lenken den Fokus zurück auf das Grundlegende, in diesem Fall auf die lokale Produktion und die systemrelevanten Berufe, und geben einen Anstoß für positive Veränderungen. Für nachhaltige Optimierungen braucht es allerdings die Bereitschaft aller wirtschaftlichen und politischen Akteure, zukünftig einen nachhaltigen Beitrag für eine agile, vertrauensbasierte und digitale Arbeitswelt zu leisten.