Online einkaufen, im Internet einen Arzt-Termin buchen oder in der U-Bahn kostenfrei im WLAN surfen, ist in Russland schon lange Realität. Mobiles Internet ist schnell und günstig und mehr als drei Viertel der Bevölkerung sind regelmäßig online. Vor allem Social-Media-Netzwerke sind in der Coronakrise gefragter denn je: Plattformen wie VKontakte, Odnoklassniki, Telegram und Habr haben darauf reagiert und ihre Services ausgebaut. Wie hat das Virus die russischen Kanäle verändert? Und wie gehen diese zum Beispiel mit Fake News um?
Social-Media-Netzwerke unter Druck
Die Coronakrise hat den russischen Social-Media-Netzwerken viele neue Nutzer und Zugriffe beschert: So stieg zum Beispiel die Anzahl der in VKontakte (VK) gesendeten Nachrichten um 20 Prozent und die täglichen Aufrufe von Mini Apps steigerte sich sogar um 260 Prozent. Bei Odnoklassniki (OK) sieht es ganz ähnlich aus: Nutzer verbrachten mehr Zeit im Netzwerk, es wurden mehr Inhalte konsumiert und die Zahl der im Newsfeed angeschauten Nachrichten nahm um 14 Prozent zu.
Die Konkurrenz unter den russischen Kanälen ist hoch: Gekämpft wird um die Gunst derer, die in der Krise nach aktuellen News und Unterhaltungsangeboten suchen oder die mit zielgerichteter Werbung ihre Produkte vermarkten wollen. Die vier wichtigsten russischen Netzwerke VKontakte (VK), Odnoklassniki (OK), Telegram und Habr haben sich darauf eingestellt und ihre Angebote für private Nutzer und Businesskunden angepasst. Wir zeigen, wohin der Trend geht und stellen einige Beispiele vor:
1. News-Angebote nehmen zu
Seit Beginn der Pandemie bietet VKontakte seinen Nutzern Informationen rund um die Coronakrise via Mini-App und Newsfeed. Darüber lässt sich z.B. auch die offizielle Vertretung des russischen WHO-Büros abonnieren. Bei Odnoklassniki können Nachrichten zu COVID-19 von 150 föderalen und regionalen Medien ebenfalls in einem speziellen Feed verfolgt werden.
Obwohl Telegram üblicherweise nicht mit Regierungsbehörden zusammenarbeitet – in Russland war der Messenger bis vor wenigen Wochen noch verboten – verbreitet auch er nun 17 Kanäle von Gesundheitsministerien, um Regierungen bei der Covid-19-Aufklärung zu unterstützen. Laut Polina Zhigareva, Leiterin der Ipsos-Social-Media-Forschung in Russland, hat sich Telegram als Informationsplattform etabliert. So gibt es zum Beispiel öffentliche Gruppen, die sich nur dem Coronavirus widmen. Allerdings, betont Zhigareva, würden dort auch viele Fake-Nachrichten verbreitet.
2. Mehr Content zu Bildung und Unterhaltung
Die russischen Social-Media-Kanäle haben auch auf die größer werdende Nachfrage nach Bildungs- und Unterhaltungsinhalten reagiert. VKontakte hat dafür z.B. die Mini-App „Zuhause anschauen“ entwickelt. Dort sind Hinweise auf Online-Veranstaltungen sowie der Newsfeed #besserzuhause für diejenigen zu finden, die abseits der Coronakrise nach Angeboten suchen. Hier gibt es Online-Übertragungen von Konzerten und anderen kulturellen Veranstaltungen, Freizeitideen für Zuhause sowie Online-Wettbewerbe.
Auch Odnoklassniki hat für seine Nutzer einen Newsfeed mit Online-Veranstaltungen eingerichtet – „Zu Hause ist OK!“. Das Kunstportal „Wir im Museum“ bietet zudem die Möglichkeit, Videotouren zu Expositionen und temporären Ausstellungen der größten russischen Museen anzuschauen. Das Spektrum reicht dabei von Gemälden bis zur Eroberung des Weltraums. Bei anderen Projekten werden von Prominenten Märchen für Kinder vorgelesen oder Online-Fitnesskurse angeboten.
3. Kampagnen für Unternehmen
Kleinen und mittleren Unternehmen zu helfen – das ist das Ziel von Kampagnen, die Odnoklassniki und VKontakte ins Leben gerufen haben. Dabei wurde u.a. das Budget, das Unternehmen auf den Plattformen in Werbung investieren, verdoppelt. Darüber hinaus gibt es Seiten mit Sonderangeboten, Schulungsmaterialien und anderen Informationen, die für Unternehmen in der Coronakrise nützlich sein können.
Als IT-Plattform bietet Habr Career zum Beispiel eine kostenlose Reihe von Webinaren, einen sogenannten „Homeoffice-Marathon“, der sich jede Woche mit einem neuen Thema befasst. Um die IT-Community zusammenzuhalten, wurden zudem Themen wie Networking für IT-Fachleute, das Einrichten vom Arbeitsplatz und Balance zwischen Arbeit und Zuhause diskutiert.
4. Im Trend: Video-Calls & Video-Dienste
In den letzten Monaten haben VKontakte und Odnoklassniki Sprach- und Videoanrufe entwickelt, die sich sowohl für private Zwecke als auch für die Arbeit oder das Online-Lernen eignen. Und auch Telegram kündigte für dieses Jahr sichere Video-Calls an. Im Vergleich zum ersten Quartal des letzten Jahres verzeichnet VKontakte 24 Prozent mehr Anrufe, die monatliche Gesamtzahl der Sprach- und Videoanrufe stieg auf 64 Millionen. Bei OK nahmen die Anrufe um 39 Prozent zu.
Video-Angebote boomen
Vor allem Video-Angebote gewinnen in der Coronakrise in russischen Social-Media-Kanälen an Popularität. Der Videodienst von Odnoklassniki stellte mit einer Milliarde Aufrufe pro Tag sogar einen neuen Rekord auf. Das Netzwerk verbesserte die Algorithmen der persönlichen Empfehlungen, erhöhte die Vielfalt der Videosammlungen und erweiterte die Reichweite der empfohlenen Inhalte im Nachrichten-Feed und im Abschnitt mit ähnlichen Videos.
Bei VKontakte stieg nach eigenen Angaben die Beliebtheit von Live-Übertragungen um 48 Prozent: Nutzer geben in der Coronazeit hier Einblicke in ihr Leben und ihren Alltag und tauschen sich mit anderen aus. Bei Live-Streams wird Musik gespielt, Sport gemacht, gebastelt oder Tipps für gesunde Ernährung gegeben.
Um sein junges Publikum anzusprechen, startete VK Anfang Juni „Clips“ – kurze Videos, die ähnlich wie bei TikTok funktionieren und thematisch von Unterhaltung bis Bildung reichen. Durch Algorithmen, die Nutzerdaten auswerten, werden immer weitere zielgerichtete Video-Empfehlungen vorgeschlagen. Schon am ersten Tag verzeichnete Clips 110 Millionen Aufrufe.
5. Fake News: So reagieren die russischen Plattformen
Seit Beginn der Pandemie zirkulieren auf russischen Social-Media-Plattformen Fake News. Zum Beispiel, dass das Coronavirus angeblich über 5G-Netze verbreitet würde oder dass Knoblauch und heißes Wasser vor dem Virus schützen könnten.
Im April löschte das VKontakte-Team mehr als 800.000 Beiträge in Gruppen und Spam-Mailings zum Coronavirus. „Wir tun alles Mögliche, um die Menschen vor grundloser Panik wegen gefälschten Nachrichten zu schützen und gleichzeitig Raum für Diskussionen und die Äußerung persönlicher Standpunkte zu schaffen“, so das Netzwerk. „Wir überwachen ständig gefährliche Inhalte und blockieren Nutzer und Netzwerke von Bots, die Massenmailings organisieren. Wir beschränken den Zugang zu Material, das irreführend ist, und wir reagieren auch prompt auf Signale von Nutzern und Aufsichtsbehörden“.
„Gemeinsam beobachten wir regelmäßig die wachsende Popularität von Publikationen und überprüfen sie auf Glaubwürdigkeit“, ist in einer Presseerklärung von Odnoklassniki zu lesen. „Wenn sich eine offensichtliche Falschmeldung verbreitet – beispielsweise, dass Pfeffer in der Suppe vor dem Coronavirus schützt – beschränken wir den Zugang der Nutzer zu solchem Material. Im Falle unbestätigter, aber nicht widerlegter Informationen, bleibt die Information im sozialen Netz“.
Neues Gesetz: Journalismus gerät unter Druck
Die Verbreitung von Fake News ist in Russland gesetzlich verboten. Während vor der Pandemie Geldstrafen verhängt wurden, sieht die Lage seit Anfang April 2020 anders aus: Drei bis fünf Jahre Haft drohen einer Person zum Beispiel dann, wenn der verbreitete Fake zum Tod oder zu anderen schwerwiegenden Folgen führt.
Allerdings kann das neue Gesetz auch dazu genutzt werden, um Journalistinnen und Journalisten einzuschüchtern und unter Druck zu setzen, die kritisch über Covid-19 und die Situation in Russland berichten. Auch Bloggerinnen und Blogger, die sich in Videos über Verschwörungstheorien rund um das Coronavirus lustig machen, können belangt werden, sofern ihre Beiträge nicht explizit als Satire gekennzeichnet werden.
Laut Experten gibt es keine klaren Kriterien dafür, ob eine Information falsch oder gefährlich ist. Dennoch wurden bereits 300 angebliche Fälle für Fake News identifiziert und dutzende Verfahren eingeleitet.
Die Chance nicht verpassen
Die Coronakrise hat die russischen Social-Media-Kanäle stark verändert. Da die Offline-Kontakte durch den Lockdown abgenommen haben, steigt die Zahl der aktiven Nutzer auf allen Plattformen. Aufgrund der hohen Konkurrenz stehen die Social-Media-Kanäle unter Druck und bauen ihren Service weiter aus, um bei den Nutzern immer besser zu punkten. Nachrichtenangebote zu COVID-19, mehr Content zu Bildung und Unterhaltung, Video-Calls und Video-Dienste verdeutlichen diese Entwicklung. Auch im Kampf gegen Fake News sind die Plattformen aktiv und passen sich an die neuen gesetzlichen Vorschriften an. Als Unternehmen sollte man die Chance nicht verpassen, von Sonderangeboten, Schulungsmaterialien und vielen weiteren Informationen, die von den Netzwerken zur Verfügung gestellt werden, zu profitieren und seine Zielgruppen noch besser zu erreichen.