Wer das Wort „Guerilla“ hört, denkt zunächst ans Kämpfen, und nicht unbedingt an eine Marketing-Strategie. Doch schaut man sich prägnante Werbeschlachten der letzten Jahre an, wie etwa den kommunikativen Schlagabtausch zwischen Aldi und Lidl, fällt schnell auf, dass die Disziplinen Marketing und Kampf gar nicht so weit auseinander liegen. Denn heute braucht es mehr als bunte Plakate und peppige Slogans, um aus der Werbemasse hervorzustechen und aus dem ewigen Kampf der Aufmerksamkeitsökonomie für einen kurzen Moment als Sieger hervorzugehen.
Ob Plakate, Werbescreens, Flyer oder Sticker: Sobald wir auch nur einen Fuß vor die Tür setzen, sind wir von Werbung umgeben. Doch der Kampf um einige Sekunden unserer Aufmerksamkeit wird mittlerweile nicht mehr nur auf den Straßen ausgetragen, sondern dringt immer mehr in den privaten Raum vor. Social-Media-Ads, Videowerbung und nervige Pop-Ups halten sich so hartnäckig im World Wide Web wie Unkraut im Vorgarten, und sind mittlerweile sogar bis ins Detail auf unsere persönlichen Interessen zugeschnitten, ermittelt von intelligenten Algorithmen unserer mobilen Endgeräte, um die Wahrscheinlichkeit, dass wir noch einige Sekunden länger auf einer Anzeige verweilen, immer weiter zu erhöhen.
Wir neigen immer mehr dazu, konventionelle Werbung aufgrund ihrer ständigen Präsenz irgendwann einfach auszublenden. Somit wird es für Werbetreibende immer schwieriger, Werbemaßnahmen zu finden, die ihren Zweck auch wirklich erfüllen und die gewünschte Wirkung erzielen, anstatt einfach an unseren Sinnen vorbeizuziehen. Die kriegerische Taktik des Guerilla-Marketing lautet daher: Hinterhalt, Manipulation, Überfall. Sie zielt darauf ab, die Aufmerksamkeit der Menschen zu gewinnen, wenn diese am wenigsten damit rechnen und die Werbung somit auch nicht sofort als solche erkennen können. Da einfache und für die Zielgruppe belanglose Kommunikationsideen in der gegenwärtigen Werbeflut eher untergehen, als dass sie wirken, erfreuen sich neue und unkonventionelle Ansätze unter Werbetreibenden und verantwortlichen Kreativen größter Beliebtheit.
Anfänge des Guerilla-Marketing
Mitte der sechziger Jahre wurden unter Guerilla-Marketing Werbemaßnahmen verstanden, die eingesetzt wurden, um der Konkurrenz zu schaden und somit einen tatsächlichen Kommunikationskampf auszutragen. Mittlerweile zählen zu Guerilla-Marketing jegliche Maßnahmen, die auf unkonventionelle und teilweise manipulative Weise die Aufmerksamkeit eines Publikums auf sich ziehen wollen. Wegweisend für Guerilla-Marketing-Strategien wurde ein im Jahr 1984 veröffentlichtes Buch des amerikanischen Unternehmensberaters Jay Conrad Levinson, der bis heute als Urvater dieser Disziplin gilt. Guerilla-Marketing kann mit wenig Budget und viel Kreativität, aber auch im großen Stil und mit exorbitanten Summen betrieben werden. Größere Unternehmen verfügen meist über ausreichend finanzielle Mittel, um wirklich spektakuläre und aufmerksamkeitserregende Aktionen durchzuführen, stehen aber auch stark im Fokus der Öffentlichkeit. Daher besteht die Gefahr, dass unüberlegte Guerilla-Aktionen geschmacklos wirken und somit zum PR-Albtraum werden.
Ein absoluter Hingucker
Wer heute noch mit Werbung positiv auffallen möchte, muss auf die Straße gehen und aus dem Stadtbild herausstechen. Um Überraschungseffekte herzustellen, werden beispielsweise skurrile Gegenstände im öffentlichen Raum platziert, die auf den ersten Blick wirken, als wären sie fehl am Platz. In diesem Moment ist sich der Gegenstand bereits der Aufmerksamkeit des Betrachters sicher, und das kommunikative Ziel ist erreicht. Ebenso können auch Flashmobs, öffentliche Performances oder Live-Aktionen in ähnlicher Weise eingesetzt werden. Durch Einladungen zur Teilnahme können zudem Interaktionen zwischen den Konsumenten und der Marke hervorgerufen werden. Riesige Bildnisse auf großen Bodenflächen oder Hauswänden können zufällige und unfreiwillige Interaktion kreieren, indem Passanten optisch in die Werbung eingebunden werden. Eine kuriose wie kreative Idee hatte das Marketing-Team von Frontline, einem Hersteller für Parasitenschutzmittel: Auf einem riesigen Bodenplakat in der weitläufigen Eingangshalle eines Bürogebäudes ist ein Hund abgedruckt, der sich gegen die Fliegen wehrt, die ihn umschwirren. Diese „Fliegen“ sind die Passanten, die die Halle durchqueren und somit über das Plakat laufen müssen. Von den oberen Etagen aus betrachtet sieht es dann so aus, als würden die Menschen den Hund wie Fliegen umschwirren. Sie werden unfreiwillig Teil der Werbung und erschaffen ein Bild, das einen zweiten Blick wert ist.
NGOs und soziale Organisationen können mit dearartigen bildlichen Vergleichen auf Probleme und Missstände aufmerksam machen, beispielsweise mit der Verbildlichung der Essensmenge, die Kindern aus Entwicklungsländern täglich zur Verfügung stehen. Solche Vergleiche wirken häufig schockierend, da sie physisch erfahrbar werden und unsere Vorstellungskraft anregen. Sie informieren dadurch viel deutlicher und einprägsamer über akute Missstände als Worte dazu in der Lage wären.
Unerwartet und interaktiv
Guerilla Marketing ist oft kostengünstig, doch nur wenige haben die zündende Idee und entwickeln wirklich einzigartige und kreative Kampagnen, weshalb die meisten Unternehmen dann doch zu konventionellen Werbemaßnahmen greifen. Ein weiterer Hinderungsgrund ist die Frage, ob eine spielerische Werbemaßnahme nicht der Seriosität mancher Unternehmen widersprechen könnte. Hier ist es von Vorteil, die eigene Zielgruppe genaustens zu kennen und die Reaktionen bei Umsetzung einer Guerilla-Offensive im Voraus abschätzen zu können.
Die Disziplin des Guerilla-Marketing fußt auf einfachen Grundsätzen: Simple Konzepte ohne viele Worte, die gleichzeitig unkonventionell sind, den Betrachter sofort in ihren Bann ziehen und für Überraschungsmomente oder Lacher sorgen, werden am besten aufgenommen, da sie sich nicht offensiv als Werbemaßnahme präsentieren, aber dennoch offensiv agieren können. Trotz der Tatsache, dass sie sich dem Betrachter regelrecht aufdrängen, werden sie nicht als belästigend, sondern vielmehr als interessant und amüsierend wahrgenommen. Anders als konventionelle Werbung fokussieren sich Guerilla-Strategien auf positive Gefühle wie Freude, Gemeinschaft oder Überraschung, während die eigentliche Werbeabsicht in den Hintergrund rückt. Dennoch sollte der Nutzen des ausgestellten Produkts wie in folgendem Beispiel sofort erkennbar sein: Die Firma 3M deponierte eine hohe Summe Bargeld zwischen ihren Produkten, zwei Panzerglasscheiben, an einer öffentlichen Bushaltestelle und machte den Wertgegenstand somit für alle Passanten sichtbar, aber nicht greifbar. Das Unternehmen ist also so stark von der Sicherheit seiner Glasscheiben überzeugt, dass es zwischen ihnen eine hohe Summe Bargeld ohne Bedenken dem öffentlichen Raum überließ. Diese Idee demonstriert auf kreative Weise die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Produkts und gleicht somit einer Live-Demonstration des unternehmerischen Qualitätsstandards.
Ist eine Idee besonders kreativ, so ist die Wahrscheinlichkeit zudem groß, dass sie fotografiert und mit Freunden und Familie geteilt wird, oder sich sogar zu einem viralen Internetphänomen entwickelt. Der so entstehende User Generated Content wird über die sozialen Medien immer weiter verbreitet, bis die Werbemaßnahme sich zum Selbstläufer entwickelt. Somit geht die analoge Werbemaßnahme nahtlos in eine Online-Kampagne über, die das Unternehmen nicht einen Cent kostet.
Überraschungsmomente – auch im digitalen Raum?
Guerilla-Marketing ist allgemein als wirksame Offline-Strategie bekannt, doch auch im Internet lassen sich durch unkonventionelle Aktionen ungeahnte Wirkungen erzielen. Gerade Shows und Performances können dank zahlreicher videofähiger Plattformen wie YouTube, Instagram, TikTok oder Twitch gut in den digitalen Bereich verlegt werden. Um ein Überraschungsmoment zu schaffen, können Live-Aktionen ohne Ankündigungen gestartet werden, sodass das Publikum sich fragt, was hier gerade wohl passiert, und aus Neugier die weiteren Geschehnisse verfolgt. Zudem können Guerilla-Aktionen im Offline-Bereich gefilmt und als Werbefilm im Netz verbreitet werden, der die Unterhaltung in den Vordergrund stellt und die Werbewirkung so versteckt, dass das Publikum sie kaum noch bewusst wahrnimmt. Ein Beispiel hierfür ist die „Coca-Cola Happiness Machine“: In einer Universität in den USA wurden Cola-Automaten aufgestellt und mit versteckter Kamera gefilmt. Denn anstatt ausschließlich Getränke auszugeben, erhielten die Studierenden unter anderem Luftballontierchen, eine Pizza und ein meterlanges Baguette. Das Video rückt die überraschten Reaktionen der Studierenden in den Fokus und ist somit sehr unterhaltsam. Für den Betrachter ist die Werbeabsicht des Videos auf den ersten Blick kaum erkennbar, da der Fokus auf dem Überraschungseffekt der Happiness Machine liegt.
Lustige Aktionen in den sozialen Medien, die man normalerweise nicht von einem professionellen Unternehmensaccount erwartet, können ebenfalls für viel positive Aufmerksamkeit sorgen. Inszenierte Skandale, die erst im Nachgang aufgelöst werden, sind jedoch mit Vorsicht zu genießen, da solche Aktionen auch schnell nach hinten losgehen und ein negatives Licht auf das verantwortliche Unternehmen werfen können. Mit digitalen Schnitzeljagden, Live-Streams oder spannenden Challenges sind Marken meistens auf der sicheren Seite. Ein Beispiel für einen spektakulären Stream, dessen Sensationspotenzial nur schwer übertroffen werden kann, bietet das Projekt „Red Bull Stratos“ der Getränkemarke Red Bull: Der Extremsportler Felix Baumgartner wagte einen Sprung aus der Stratosphäre in knapp 40 Kilometern Höhe zurück auf die Erde und brach damit gleich mehrere Weltrekorde. Millionen von Menschen sahen Baumgartner online und live dabei zu. Die Message des Stunts, nämlich Menschen zu inspirieren und Großes zu wagen, entspricht der Philosophie von Red Bull, die außerdem Veranstalter zahlreicher weiterer Sportevents sind.
Mit Guerilla-Marketing zum Erfolg
Werbetreibende sollten keine Angst vor skurrilen, albernen oder kuriosen Ideen haben. Die Maßnahme muss zwar mit der Unternehmensphilosophie vereinbar sein und darf das Image nicht gefährden, doch lachende Konsumenten schaden den wenigsten Unternehmen. Werbung auf emotionaler Ebene verschleiert zudem die Tatsache, dass kommerzielle Absichten verfolgt werden und stellt Freude, Belustigung oder Staunen in den Vordergrund. Der Wettbewerb der Aufmerksamkeitsökonomie gleicht einem gewaltlosen Krieg, der nur mit unkonventionellen, teils sogar skurrilen Mitteln zu gewinnen ist. Wer hervorstechen will, muss den Massen etwas bieten, das aufgrund der Reizüberflutung und der Fülle bereits existierender Ideen auch in gesamtwirtschaftlicher Hinsicht nur schwer zu erreichen ist: Innovation und Inspiration.