Das Chinese New Year, auch als Frühlingsfest bekannt, ist das wichtigste Fest in China und hat weitreichende kulturelle und wirtschaftliche Auswirkungen. Während es vor allem als Zeit der Familienzusammenkunft gefeiert wird, beeinflusst es zugleich die gesamte Wirtschaft, von der Reisebranche über den Einzelhandel bis hin zur Arbeitswelt. Zudem wird es vielerorts auch in der westlichen Welt mit großen Events gefeiert. Doch welche Besonderheiten bringt das Fest mit sich, und wie können internationale Unternehmen darauf reagieren? Im Interview gibt Virginia Chen, COO Asia-Pacific bei pressrelations, aufschlussreiche Einblicke in die Bedeutung des Chinese New Year und erläutert, welche Lehren Unternehmen daraus ziehen können.
Welche kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung hat das Chinese New Year in China und welchen Einfluss hat es auf die lokale Geschäftswelt?
Virginia: In China gibt es viele Menschen, die zum Studium oder zur Arbeit in andere Städte ziehen und nur selten nach Hause zurückkehren. Doch zum Chinese New Year nehmen sie oft lange Reisen auf sich, um mit ihren Familien zusammenzukommen. Denn für Chinesen bedeutet das Neujahrsfest vor allem eines: Familienzusammenführung.
Jedes Jahr sind deshalb hunderte Millionen Menschen unterwegs, was zu einer beispiellosen Reisewelle führt. Dieses Phänomen wird als Chunyun (春运) bezeichnet und gilt als die weltweit größte saisonale Migrationsbewegung. Da viele Reisende mehrere Tage unterwegs sind, gibt es eine siebentägige offizielle Feiertagsperiode. In einigen Branchen, insbesondere in Fabriken, auf Baustellen oder in kleineren lokalen Geschäften, dauert die Pause sogar bis zu zwei Wochen – vom chinesischen Neujahrsfest bis zum Laternenfest. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf Lieferketten und Dienstleistungen.
Chinese New Year ist auch eine Hochsaison für den Konsum. Nach traditionellem Brauch tragen Chinesen zum neuen Jahr neue Kleidung. Ebenfalls wird das Zuhause aufwendig dekoriert und erneuert. Zudem werden Freunde und Familie besucht, wobei Geschenke eine wichtige Rolle spielen. Daher nutzen Händler die Zeit vor dem Fest für spezielle Neujahrsrabatte und Verkaufsaktionen. Marken profitieren besonders von den gestiegenen Ausgaben für Geschenke und Mode.
In den letzten Jahren hat sich vor allem der E-Commerce-Markt rasant entwickelt. Neben Preisnachlässen gibt es zahlreiche interaktive Marketingaktionen wie Glückslose, In-App-Spiele oder virtuelle Hongbao. Traditionell sind Hongbao rote Umschläge, die typischerweise ein Geldgeschenk enthalten. Dieses Jahr geht der Trend noch weiter: In WeChat-Gruppen können Nutzer direkt Geschenke auswählen, bezahlen und versenden oder sogar digitale Verlosungen organisieren – alles innerhalb einer einzigen Plattform.
Im Bereich Social Commerce ist China zweifellos weltweit führend und setzt regelmäßig neue Maßstäbe in der digitalen Handelswelt.
Wie wirkt sich das Chinese New Year auf die Arbeitswelt in China aus und welche Besonderheiten sollten internationale Unternehmen mit Standorten dort beachten?
Virginia: In China veranstalten Unternehmen kurz vor dem Neujahrsfest ihre jährlichen Firmenfeiern, die mit den Weihnachtsfeiern in Deutschland vergleichbar sind. Allerdings sind sie oft aufwendiger gestaltet: Mitarbeiter organisieren verschiedene Aufführungen und es gibt eine Tombola mit hochwertigen Preisen.
Zudem verteilen die meisten chinesischen Unternehmen Neujahrsgeschenke an Mitarbeiter, Kunden oder Lieferanten. Geschenke zu überreichen ist in China ein wichtiger Bestandteil der Geschäftsetikette, bei dem sowohl die Auswahl als auch der Zeitpunkt eine große Rolle spielen. Ein Geschenk steht für Respekt und Wertschätzung.
Außerdem sollte die Personalabteilung besonders aufmerksam sein, da die Fluktuationsrate in China deutlich höher ist als in Europa. Rund um das chinesische Neujahr erreicht die Kündigungswelle ihren Höhepunkt. In hochbezahlten Branchen wie der IT- und Finanzbranche warten viele Mitarbeiter mit ihrem Jobwechsel, bis sie ihren Jahresbonus erhalten haben. In der Fertigungsindustrie und bei gewerblichen Arbeitskräften ist die Fluktuation noch höher – einige Arbeitnehmer kehren nach den Feiertagen gar nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurück. Das chinesische Arbeitsrecht schreibt vor, dass Arbeitnehmer mit nur einem Monat Kündigungsfrist kündigen können. Dies stellt die Personalabteilungen vor erhebliche Herausforderungen. Um Personalengpässe zu vermeiden, sollten Unternehmen bereits vor dem Jahreswechsel Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung ergreifen, etwa durch gezielte Motivationsanreize und aktive Kommunikation. Gleichzeitig ist es ratsam, den Arbeitsmarkt frühzeitig zu beobachten, um rechtzeitig neue Talente zu rekrutieren.
Da das Chinese New Year in vielen anderen Ländern kein offizieller Feiertag ist: Wie könnten Unternehmen ihre chinesischen Mitarbeiter dabei unterstützen, diese wichtige Zeit angemessen zu feiern?
Virginia (lacht): Diese Frage betrifft mich tatsächlich ganz persönlich.
Chinesen gelten als fleißig und bescheiden und fordern oft nicht aktiv Aufmerksamkeit ein. In vielen westlichen Metropolen organisieren chinesische Gemeinschaften oder Konsulate verschiedene traditionelle Feierlichkeiten, damit Übersee-Chinesen das Neujahrsfest gebührend feiern können. Allerdings werden diese Veranstaltungen meist an Wochenenden abgehalten, um sich an die lokalen Arbeitszeiten anzupassen.
Falls Ihr Unternehmen auch chinesische Mitarbeitende zum Team zählt oder Geschäftsbeziehungen zu China pflegt, können kleine Gesten viel bewirken. Eine herzliche Grußkarte oder die Möglichkeit, am chinesischen Neujahrstag etwas früher zu gehen, damit sie das traditionelle Neujahrsessen vorbereiten können, wird sicherlich wertgeschätzt.
Noch besser: Wenn ein Unternehmen auch chinesische Mitarbeitende beschäftigt, könnte es sogar einen freien Tag für die Feierlichkeiten anbieten oder eine kleine Neujahrsteeparty veranstalten. Dabei könnten chinesische Kollegen den anderen Mitarbeitern Einblicke in ihre Traditionen geben – zum Beispiel gemeinsam Jiaozi (Teigtaschen) zubereiten oder Frühlingscouplets (Frühlings- und Neujahrswünsche, die auf roten Papierbanner gedruckt werden) schreiben.
Solche Maßnahmen zeigen nicht nur eine hohe Wertschätzung für die Mitarbeiter, sondern fördern auch den interkulturellen Austausch innerhalb des Unternehmens.
Was können internationale Unternehmen von den Traditionen und der Organisation des Chinese New Year lernen, um kulturelle Vielfalt und Teamzusammenhalt zu fördern?
Virginia: Als ich das chinesische Neujahr in China gefeiert habe, habe ich gemeinsam mit meinem Team Frühlingscouplets (Chunlian) geschrieben. Dabei haben wir unsere Erwartungen an das kommende Jahr für das Unternehmen in traditioneller Sprache auf rotem Papier festgehalten. Wer sagt, dass das nicht auch eine Form von Corporate Vision Alignment war?
Das chinesische Neujahr ist voller Glückwünsche und Symbolik, aber auch von Tabus geprägt – all diese Bräuche erinnern uns daran, die Hoffnung nicht aufzugeben, positiv in die Zukunft zu blicken und Dankbarkeit füreinander zu zeigen.
Da das Chinese New Year mit einer großen Reisewelle und Geschäftsschließungen verbunden ist, müssen Unternehmen frühzeitig planen. Dies lehrt vorausschauende Organisation und transparente Kommunikation – Fähigkeiten, die in internationalen Geschäftsabläufen essenziell sind.
Viele Unternehmen haben begonnen, zu Zwecken der Inklusion „Lunar New Year“ statt „Chinese New Year“ zu verwenden. Dazu gab es online jedoch viel Gegenwind. Welche Bezeichnung sollte ich als Unternehmen nun verwenden?
Virgina: Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass sowohl das „Chinese New Year“ als auch das „Lunar New Year“ auf dem Mondkalender (Lunar Kalender) basieren. Dieser stammt ursprünglich aus China und richtet sich nach den Mondphasen. Jeder Monat beginnt in der Regel mit dem Neumond. Bis heute feiern viele asiatische Länder ihr traditionelles Neujahrsfest nach diesem Kalender. Die Entscheidung zwischen „Chinese New Year“ und „Lunar New Year“ ist für Unternehmen ein kulturell und gesellschaftlich sensibles Thema. Verschiedene Zielgruppen bevorzugen unterschiedliche Begriffe, weshalb es wichtig ist, die Wortwahl bewusst zu treffen – je nach Kontext, Markenidentität und beabsichtigter Botschaft.
In Niederlassungen ausländischer Unternehmen in China, in Geschäftskontexten mit überwiegend chinesischer Kundschaft oder bei internen Feierlichkeiten für chinesische Mitarbeiter ist „Chinese New Year“ die passende Bezeichnung. Möchte ein Unternehmen jedoch die Inklusivität betonen, den gesamten asiatischen Markt ansprechen oder eine multinationale Zielgruppe erreichen, die dieses Fest feiert, ist „Lunar New Year“ die geeignetere Wahl.
Chinese New Year: Kulturelles Erbe und wirtschaftliche Chance für Unternehmen
Das Chinese New Year ist weit mehr als nur ein traditionelles Fest – es ist ein kulturelles Phänomen mit erheblichen Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft. Unternehmen, die in China tätig sind oder chinesische Mitarbeiter beschäftigen, sollten sich dieser Besonderheiten bewusst sein und darauf eingehen. Ob durch vorausschauende Personalplanung, strategische Marketingaktionen oder wertschätzende Gesten gegenüber den Mitarbeitern – das Verständnis für diese Tradition kann nicht nur die Geschäftsbeziehungen stärken, sondern auch den interkulturellen Austausch fördern. Letztlich bietet das Fest wertvolle Erfahrungen für Unternehmen weltweit: Planung, Zusammenhalt und die Bedeutung von Wertschätzung sind universelle Prinzipien, die den geschäftlichen Erfolg nachhaltig beeinflussen können.
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