Die Zukunft beginnt hier und heute und materialisiert sich aktuell in Apples neustem Coup – einer Computerbrille, die digitale Inhalte nahtlos in die physische Welt projiziert. Das stylische Gerät beeindruckt nicht nur technisch, sondern macht dank Minimalismus-Design à la Apple auch optisch etwas her. Ist die Vision Pro reine Spielerei oder ein technisches Meisterwerk mit Disruptionspotenzial?
Next Level Augmented Reality
Wer die Videos gesehen hat, die aktuell im Internet kursieren, ist erst einmal beeindruckt: Apples AR-Brille projiziert eine digitale Arbeitsfläche mit endlosen Möglichkeiten in die reale Umgebung. Einzelne Apps wie Streaming-Portale, Kalender oder Office-Programme können mit realen Objekten wie dem TV, dem Kühlschrank oder der Wand über dem Schreibtisch verknüpft werden und werden angezeigt, sobald die Anwender:innen den Blick auf diese Punkte richten. Die Technologie dahinter nennt sich visionOS und ist das weltweit erste AR-Betriebssystem dieser Art. So wirkt jedes digitale Erlebnis, als würde es in Echtzeit in der realen Welt stattfinden – direkt vor den Augen der Nutzer:innen. Gleichzeitig sind aber auch reine VR-Visualisierungen möglich, ebenso wie Mixed-Reality-Modi.
Merkwürdige Moves und dystopisches Aussehen
Von außen betrachtet bekommt die bahnbrechende Technologie einen befremdlichen Beigeschmack: Menschen laufen über die Straße, sitzen in U-Bahnen oder sogar hinter dem Steuer, ihr Gesicht verschwindet hinter den großen Gläsern der AR-Brille – trotz von Apple beworbener „Eyesight“-Technologie. Gleichzeitig tippen, wischen und gestikulieren die Anwender:innen wie wild in der Luft herum und bedienen digitale Funktionen, die für ihr Umfeld nicht sichtbar sind. Träger:innen der Apple Vision Pro werden zu Cyborgs, deren reales Umfeld von digitalen Inhalten überlagert und verfremdet wird – ein Stadtbild, dass uns häufiger begegnen wird, sollte die Vision Pro einmal ähnliche Popularität erreichen wie das iPhone oder die Apple Watch. Bei einem stolzen Preis von 3500 Dollar (ca. 3200 Euro) ist das aber erst einmal unwahrscheinlich.
Distanz durch zu viel Nähe?
Die Vision Pro soll die reale Welt bereichern und erweitern – doch schränkt sie die Verbindung des Menschen zur eigentlichen Realität nicht ein, indem sie deren Wahrnehmung mit virtuellen Inhalten überlagert?
Wer immer mehr Zeit mit digitalen Medien verbringt, verliert auf gewisse Weise den Bezug zur nicht-virtuellen Welt, wie zahlreiche Studien belegen. Ist eine gewisse Realitätsentfremdung ein fairer Preis für effizienzmaximiertes Personal Computing und einen durchdigitalisierten Lifestyle?
Diese Frage müssen die Anwender:innen der Vision Pro für sich beantworten – falls sie sie überhaupt stellen. Mit der bereits erwähnten „Eyesight“-Technologie will Apple gewährleisten, dass die Nutzer:innen trotz AR-Brille mit ihrer Umgebung in Kontakt bleiben. Personen, die sich nähern, sollen wie durch einen Schleier im Sichtfeld der Anwender:innen erscheinen, sodass die Brille nicht abgesetzt werden muss, um das reale Geschehen in der Umgebung wahrzunehmen (auch „Passthrough“-Technologie genannt).
Forscher:innen der Stanford-Universität trugen einige Wochen lang ununterbrochen verschiedene VR/AR-Brillen, um deren Effekte auf die Wahrnehmung zu untersuchen. Das Ergebnis: Neben schnell eintretenden Symptomen wie Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit wurden auch Entfernungen falsch eingeschätzt und Verzerrungseffekte beobachtet – insbesondere, nachdem die Brille abgesetzt wurde.
Was zuvor die reale Welt war, sah nun falsch aus, da sich die Augen an die Realitätsdarstellung der Brille gewöhnt hatten. Diese Realitäten werden nicht mehr objektiv sein wie z.B. der allgemeine Konsens, dass der Himmel blau ist. Sie werden hochgradig individualisiert sein und sich von Brille zu Brille unterscheiden – was die Vielfalt der Realitäten innerhalb von Gesellschaften auf möglicherweise gefährliche Weise ansteigen lässt.
Und so werden die Kinder der nahen Zukunft vielleicht in dem Glauben aufwachsen, ihre individuelle Augmented Reality sei nicht „augmented“, sondern tatsächlich ein fester Bestandteil der allgemeinen Lebensrealität.
Apple Vision Pro vs. Meta Quest Pro
Mit visionOS hat Apple eine reine AR-Software entwickelt, wohingegen Metas AR-Brille mit Android betrieben wird. Die Apple Vision Pro kommt im Gegensatz zur Meta Quest Pro ganz ohne Controller aus und wirkt dadurch um einiges futuristischer.
Der größte Unterschied zwischen beiden Geräten liegt wahrscheinlich in den verschiedenen Anwendungszwecken: Apple zielt auf eine allgemeine Lifestyle-Nutzung ab, während Meta viel Aufwand betrieben hat, um den Nutzer:innen ein spannendes Gaming-Erlebnis zu ermöglichen. In Puncto Preis liegt die Quest Pro mit ca. 1200 Euro allerdings definitiv vorne.
Fazit: Abwarten und (realen) Tee trinken
Der Hype in der Tech-Bubble ist momentan groß, aber noch ist fraglich, ob die Brille auch von der breiten Bevölkerung gekauft werden wird. Wenn es nach Apple geht, läutet die Vision Pro die Ära des räumlichen Computing ein, die ebenso bedeutend sein soll, wie die des mobile Computing, begründet durch das iPhone – mit dem Unterschied, dass die Grenzen des Displays überwunden wurden.
Bis die Vision Pro auch in Deutschland erhältlich sein wird, dauert es noch einige Zeit. Für die breite Masse scheint das Gerät dabei zunächst nicht gedacht zu sein. Außerdem stellt sich die Frage nach dem langfristigen Mehrwert des Geräts: Welche Art von Anwendungsmöglichkeitenwird die Menschen dazu bewegen, sich täglich ein iPad-schweres Gerät ins Gesicht zu schnallen? Aktuell lautet das stärkste Kaufargument daher nicht Nutzen, sondern eher Technik-Faszination. Die Vision Pro ist ein Gadget, kein Alltagshelfer.
Dennoch sind die Bilder beeindruckend und die Auflösung von 23 Millionen Pixeln revolutioniert die gängigen Branchenstandards. Apple wird wahrscheinlich die Anwendungspraxis der Early Adopter verfolgen und die Technologie in Zukunft weiter ausarbeiten und massentauglicher machen. Wir sind gespannt.