Regenbogen-Paraden, farbenfrohe Flaggen und absolute Vielfalt – einen Monat lang zelebriert die queere Community den sogenannten Pride Month. Die Christopher Street Days sind jährliche Höhepunkte der LGBT+-Community, dabei geht es um eine stärkere Sichtbarkeit und Akzeptanz in der Gesellschaft. Die Protestmärsche der Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen- und Transgender-Bewegung sowie aller weiteren sexuellen Identitäten (+), finden nicht mehr nur auf den Straßen der Großstädte statt: Mit bunten Kampagnen im Internet hat das Fest der sexuellen Selbstbestimmung inzwischen die gesellschaftliche Mitte erreicht. Immer mehr Unternehmen unterstützen das Ziel, Liebe und Identität von traditionellen Normen zu befreien und Strukturen zu schaffen, die auf Gleichberechtigung beruhen. Im Zuge dessen ist das Marketinginstrument ‚Pride‘ in den letzten Jahren ein fester Bestandteil der kommerziellen Werbung geworden. Ob es sich dabei um tatsächliche Solidarität oder nur Fassade handelt, zeigt oftmals erst der Blick hinter die Kulissen.
Die jüngsten Meilensteine der queeren Geschichte und Kultur
Mit den Stonewall Riots im Juni 1969 in New York erfolgte ein weiterer Anstoß im Bereich der gesellschaftlichen Strukturen. Vor allem dank Schwarzer Trans*-Frauen und Aktivist:innen, wie Marsha P. Johnson oder Sylvia Rivera, konnte der ungerechtfertigten Polizeigewalt begegnet und die Unterdrückung der LGBT+-Randgruppen sichtbar gemacht werden. Der soziale Status von queeren Menschen verbesserte sich nach den Aufständen immens. 1970 fanden in Amerika die ersten Gay Liberation Day Marches statt, aus denen sich später in Deutschland, Österreich und Schweiz die Paraden und Protestbewegungen unter dem Namen ‚Christopher Street Day‘ entwickelten.
Mit zahlreichen Gesetzesbeschlüssen zur Entkriminalisierung von Homosexualität Ende des 21. Jahrhunderts wurde ein weiterer Schritt in Richtung gesellschaftlicher Gleichstellung erreicht. Darüber hinaus verbindet die ‚Ehe für Alle‘ in Deutschland mit der Inkraftsetzung ab dem 01. Oktober 2017 seither immer mehr sich liebende Menschen offiziell noch enger miteinander.
Kunterbunte Offensive
Heutzutage schlägt die Uhr Mitternacht und wie von Zauberhand erstrahlen die Logos von Unternehmen und Großkonzernen in ihren regenbogenfarbenen Pendants. Das Zelebrieren von Diversität ist in den letzten Jahren auch im Social Web angekommen. Farbenfrohe Postings tummeln sich auf den Kommunikations-Kanälen der Neuzeit. Verstärkt durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie etabliert sich die Kampagnen-Kultur immer stärker im Netz und kommt durch eigene Pride-Produkte, Special Editions oder ganze Kollektionen zum Ausdruck. Nahezu jede B2C-Kategorie lässt sich während der Pride-Days mit bunten Streuseln schmücken und profitiert folglich von zusätzlicher Reichweite und Interaktionen.
Der Trend der Regenbogenwerbung sei erst vor ungefähr fünf Jahren entstanden, erklärt Stuart Cameron, Geschäftsführer der Uhlala Group, dem führenden Sozialunternehmen für LGBT+-Diversity in Deutschland. Damals habe sich die Community gefreut, dass auch Unternehmen wortwörtlich Flagge zeigen. In diesem Jahr positionierten sich namhafte Unternehmen wie BMW, SAP, die Sparkasse oder Nintendo und nutzten soziale Netzwerke für mehr Awareness.
Es ist nicht alles Gold, was glänzt
Je beliebter das Pride Marketing wird, umso stärker dringen auch Pinkwashing-Vorwürfe an die breite Öffentlichkeit. Der Begriff bezeichnet Solidaritätsbekundungen, die nur zu Marketingzwecken ausgerufen werden – und mit diesen geht die queere Community streng ins Gericht: „Viele haben das Gefühl, Unternehmen nutzten die Pride-Symbolik mit Blick auf die Kaufkraft von LGBT+Menschen in Deutschland aus“, so Cameron.
Zwischen 50 und 100 Milliarden Euro Umsatz werden pro Pride-Saison durch das bunte Marketing generiert. Der Vorwurf rein monetärer Antriebe geht einher mit einer erheblichen Gefahr für die Reputation: Unternehmen, die ehrliches Engagement für die LGBT+-Community vermissen lassen, riskieren Shitstorms. Ein Blick hinter die neue Produktpalette verrät meist schon, ob Konzerne auch intern strukturelle Veränderungen durchsetzen und Chancengleichheit schaffen.
Die Tücken der Pride-Kampagnenwelt
Mit einem jährlichen Spot befindet sich die Deutsche Bahn unter den bekanntesten Marken der Pride-Werbung. Auch in dieser Saison veröffentlichte der Konzern eine bunte Kampagne und erzielte dabei gemischte Resonanz im Social Web. Der in den sozialen Medien veröffentlichte Werbespot zeigt verschiedene Alltagssituationen von queeren Reisenden. Darunter: In Leder gekleidete Herren, Dragqueens beim Spaziergang oder ein lesbisches Paar mit regenbogenfarbenen Mund-Nasen-Bedeckungen. Wegen der Corona-Einschränkungen und der damit verbundenen Paraden-Absagen hält sich die Laune der Darstellenden jedoch in Grenzen. Mit dem Videotitel „Wir fühlen mit euch“ demonstriert die Deutsche Bahn Verständnis für die schlechte Stimmung der Protagonisten.
Diese Darstellung sorgte in den sozialen Medien allerdings für Gegenwind: Pride sei keine Feierkultur, sondern vor allem eine politische Bewegung, so der Tenor der Kritik. Ein Nutzer kommentiert auf YouTube unter dem Video: „Das bedient leider alle Vorurteile, die ,man‘ so hat und wie sich der durchschnittliche Heterosexuelle Homosexualität vorstellt.“ Ein anderer bezeichnet den Spot als „krampfhaft edgyproduzierte pseudolustige PR-Kampagne“.
Auch Uhlala-Geschäftsführer Stuart Cameron gibt sich dem DB-Spot gegenüber zwiegespalten: „Die LGBT+Community ist nicht so, wie sie dort dargestellt wird. Dennoch glaube ich, dass die Deutsche Bahn es mit ihrem Engagement ehrlich meint, das Feedback beim nächsten Mal berücksichtigen und eine neue Kampagne kreieren wird, welche die Realität besser abbildet.“ Immerhin setzt die Bahn auch abseits des Werbespots mit zahlreichen Initiativen, wie dem internen Netzwerk „railbow“, ein Zeichen gegen Diskriminierung.
Das Influencer Marketing boomt in Zeiten des bunten Kampagnenmanagements. So werden beispielsweise unter dem Hashtag #staypride Produkte durch bekannte LGBT+-Szene-Ikonen in die Kamera gehalten, mit dem Ziel, ein Teil des Erlöses der Community zugute kommen zu lassen. Dass hier meistens der Profit im Vordergrund steht und der Mehrwert für den guten Zweck so gering wie möglich gehalten wird, steht im absoluten Widerspruch zum Urgedanken des Pride Month.
Gerade dieses Mindset kritisiert die Berliner Dragqueen Candy Crash: Mit einer Wutrede gegen die Werbeindustrie beklagt sie sich über die kapitalistische Kampagnenverwaltung von Konzernen in Zeiten des queeren Marketings. Dass Kooperations-Anfragen während des Pride Month für Repräsentant:innen der queeren Community steigen, ist nicht verwunderlich. Dabei handle es sich jedoch oft um Firmen, die in den restlichen elf Monaten des Jahres laut eigenen Aussagen nicht mit der Künstlerin kooperieren würden.
Eine überwiegend positiv aufgenommene Kampagne lieferte zuletzt die Modemarke Calvin Klein. Ein Spot stellt Menschen der queeren Community und ihre persönlichen Geschichten in den Vordergrund. Mit den Worten „I am writing my own story now“ wird klar, dass sie heute mit Stolz zu ihrer Queerness stehen und negative Ereignisse aus ihrer Vergangenheit hinter sich gelassen haben. Der Spot endet mit dem Statement „And I’m proud“ – passend zu dem von Calvin Klein entworfenen Hashtag #proudinmycalvins.
Flagge zeigen für die Community
„Das Statement ‚Wir sind ein offenes Unternehmen und haben kein Problem mit LGBT+‘ reicht nicht mehr aus“.
Uhlala-Geschäftsführer Stuart Cameron
Es ist nicht so einfach, den richtigen Ton zu treffen: Die LGBT+-Community vereint unzählige Identitäts- und Lebensmodelle, deren Vielfalt sich in einer Kampagne nur schwer abbilden lässt. Dabei ist es nur wichtig, dass der Außenwirkung eines Unternehmens nicht nur kurzfristig ein bunter Anstrich gegeben wird. Statt sich an der Pride-Symbolik zu bedienen, könnten Konzerne auch intern für eine Sensibilisierung in der Unternehmenskultur sorgen.
„Das Statement ‚Wir sind ein offenes Unternehmen und haben kein Problem mit LGBT+‘ reicht nicht mehr aus“, so Uhlala-Geschäftsführer Cameron. Mit ernsthaftem Interesse und Lernbereitschaft kann auch ein gewinnorientiertes Unternehmen einen relevanten Beitrag für queere Diskurse leisten und darüber hinaus Diversität langfristig im Inneren verankern. Der resultierende Mehrwert kommt sowohl der Community als auch dem Konzern zugute.